Sonntag, 2. September 2012

Ente und Katze

Es passiert immer wieder: Ich bin mit etwas, vielleicht sogar der Gesamtsituation unzufrieden, aber ich ziehe mich zurück, kämpfe nicht, vertrete mich nicht, schaue stattdessen zu, wie ich immer unglücklicher werde. Damit dem auch nicht Einhalt geboten werden kann, schreibe ich weder einer Freundin noch mir selbst, sondern ziehe Schutzpanzer um Schutzpanzer an. Ich hab ja kein Recht. Steh auf verlorenem Posten.

Ich denk mir ja schon, ohne M-Mann wäre mein Leben in vielerlei Hinsicht nicht so reich. Aber ich frage mich auch des Öfteren, ob ich nicht auch viele Schwierigkeiten nicht hätte. Klar, das Leben besteht aus Kompromissen, und wenn man alleine bleiben will, nur um den eigenen Willen so oft wie möglich durchzusetzen, kreiiert man die beste Basis für eine Gesellschaft aus Egoisten. Vielleicht stehe ich auf verlorenem Posten, weil ich mir selbst nicht mehr zutraue oder zugestehe, und nicht, weil M-Mann mich überbügelt.

Es ist sehr verzwickt. Denn es ist ja auch nicht so, dass ich alles anders haben wollen würde - ich hätte nur manchmal gern mehr Wahl. Und das Gefühl, dass Alternativen, die ich attraktiv finde, in Erwägung gezogen werden. Aber M-Mann sagt ja andererseits, dass ich keine Meinung habe und immer erst dann etwas sage, wenn es fast zu spät ist.

Ich bin in ein fremdes Land gezogen - im Grunde, weil ich es nicht besser wusste und weil es meine einzige Option war. Zumindest in meinen Augen. Wenn man am Abgrund steht, kann man nicht zu lange überlegen, ob man das Gleichgewicht finden will. Vielleicht war auch ein bisschen Abenteuerlust dabei, à la "schaun wir mal". Immer auf der Suche nach etwas, immer an der falschen Stelle, nicht einmal im Klaren darüber, was ich überhaupt suche. Nur sicher, dass ich es wieder einmal nicht gefunden hatte. Nun gut, wenn man im Jetzt etwas sucht, dass das Übel wiedergutmachen soll, das ein böser Mann vor 26 Jahren angerichtet hat - das kann ja nicht gehen.

Nicht einmal der perfekte Mann war, was ich suchte. Zigtausende Zeichen wurden getippt im Sinnen und Grübeln über Erlebnisse und Nichterlebnisse, Sehnsüchte und Wünsche. (Heute denke ich, es hat seinen Sinn, dass er mich zwar mochte, aber nicht liebte.) Dann traf ich M-Mann. Er war mir von Anfang an sympathisch, wenngleich ich beim ersten Treffen zwei andere Aspekte vorrangig wahrnahm. Erstens kaufte er sich ein Bier, während wir anderen drei im Foyer standen und smalltalkten. Und ich bin alles andere als ein Freund von Alkoholdauerzwischengenuss. Zweitens hatte ich sowieso nur Augen und Ohren für den anderen, in den ich nach dem gefühlt zwanzigsten Rückfall wieder verliebt war.

Aber M-Mann hatte durchaus Charakter, war wirklich nicht doof - das einzige Kriterium, das ich an einen Mann stelle, wie ich so oft meinte. Und er schien mich zu mögen. Man unterschätze die Macht des Interesses seitens des anderen Geschlechts nicht. Einen entscheidenden Startvorteil hatte er als guter und langjähriger Freund des perfekten Mannes auch: So einer konnte einfach kein Arschloch sein. Auch ein todlangweiliger Langweiler schied praktisch aus. Ich dachte, schaun wir mal.

Einige Zeit später, nach Schreiben hin und Schreiben her, das erste Treffen zu zweit. Hin und her gerissen zwischen mich Wohlfühlen, nicht nach Hause gehen wollen - und dem brennenden Stechen in der Bauchgegend, das mir sagt, der hier isses einfach nicht. Ich wüsste ja, wer's wäre, aber der will nicht. Und der hier isses nicht.

M-Mann ist aber erstens nicht unattraktiv und zweitens sympathisch, und irgendwie fehlte mir das entscheidende Etwas, um ihm definitiv abzusagen. Negativ betrachtet. Positiv betrachtet wusste mein Unterbewusstsein vielleicht einfach mehr als ich.

Aus M-Mann und mir wurde etwas, und ich blieb bei ihm. Erst nach langer, langer Zeit wurde mir bewusst, wie viel er mir wirklich bedeutet. Ich glaube, zu einem kleinen Teil lag das auch daran, dass er gerne so tut, als ob alles paletti wäre. Männer und dieses blöde nicht über die Gefühle Reden! Das tu doch normalerweise nur ich. Also, wenn ich mich schuldig fühle und glaube, kein Recht auf mein Leben zu haben. Ich will Tiefe, und das auch bei ihm. Aber viele meiner Wünsche sind so schwer zu verbalisieren, werden oft nur von denen verstanden, die genauso ticken wie ich. Und das tut er nicht. Echt nicht. M-Mann fühlt sich auf Biergelagen wohl, findet's dort so "gemütlich", wo man sich so schön oberflächlich mit vielen Fremden "anfreunden" kann. Findet's toll, sich alle paar Wochen mal so viele Biere anzutrinken, dass man im Grunde zwei Tage danach noch nicht Autofahren dürfte. Das war schon mehr als einmal Anlass für mich, fast abzuspringen. M-Mann weiß das. Und ich habe mir geschworen, wenn ich ihn das nächste Mal so sehe, dass er spricht und sich bewegt, sodass jeder Spastiker sich denken würde, mein Gott, warum willst du so sein wie ich, ich würde viel dafür geben, mich so zu bewegen wie du an nüchternen Tagen, im nächsten solchen Fall bin ich weg. Das habe ich ihm natürlich nicht gesagt, denn das käme einer Erpressung gleich. Aber es tut mir gut, so eine Option zu haben, damit ich mich nicht ohnmächtig fühle. Hundert Gespräche übers Saufen und darüber, wie und was und warum es mir nicht behagt, haben ja zu ungefähr null Einsichten geführt. Wer solch ein Trinkverhalten hat, mit dem ist etwas nicht in Ordnung. Sehe ich so. M-Mann nicht. M-Mann wirft mir dann vor, dass ich Probleme suche, wo keine sind. Es schmeckt halt einfach gut.

Das war übrigens auch eines der seltenen Male, dass ich den perfekten Mann unsympathisch fand. Wir saßen zu dritt bei einer großen Feier, und der perfekte Mann husste M-Mann auf, weil M-Mann doch noch fast gar nichts getrunken habe - wie ungewöhnlich! Ich dachte nur, wie widerlich, so eine schlechte Angewohnheit muss echt nicht auch noch lustig betrachtet und verharmlost werden. Aus dem perfekten Mann wurde der perfekte Mann mit doch einem kleinen Makel. (Nun gut, er hat schon mehr als nur den einen. Ist ja auch nur ein Mensch, und spätestens seitdem ich mich selbst ein bisschen mehr schätze, sehe ich es auch als relativen Makel, dass er mich nicht attraktiv fand. Relativ eben nur auf mich bezogen.)

Weil M-Mann und ich so verschieden sind, krachen auch unsere Lebensentwürfe mitunter aufeinander. Vielmehr sein sehr konkreter Plan und meine sehr unkonkreten Vorstellungen davon, was nicht mehr geht, was circa sein sollte und wie ich mich dabei fühlen will.

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