Glut

Wie ich jetzt lerne, steckt ziemlich viel Potential in meinem Bauch. Was im Leben eines Menschen, einer Frau, führt nur dazu, dass sie ihrem Bauch misstraut, ihn negiert, ohne ihn zu leben, sich von ihm zu trennen versucht? Das Feuer brennt noch immer, es kann auch Jahre überdauern.

Meine Sensibilität hat auch ihre guten Seiten. Ach, wie ich das schon sage! Natürlich hat sie die! Leider habe ich lange nur die negativen gesehen. Eine der positiven ist die Tatsache, dass ich Momentaufnahmen in meinem Gefühlsgedächtnis gemacht habe - von Augenblicken, die nicht einordenbar schienen, aber doch irgendwie bedeutsam. Nun kann ich fast mit Sicherheit sagen, dass ich Recht hatte, diese Momente als besonders zu empfinden, auch wenn ich noch immer nicht weiß und in manchen Fällen niemals wissen werde, was dahintersteckt.

Damals, als Micheles Blick wie ein brennendes Streichholz war, das er direkt an meinen Bauch gehalten hatte, da hatte ich mir ja auch wegzudenken versucht, dass er es angezündet hatte. Dachte, nee nee, ich fantasiere. Dem war nicht so, wie sich ein paar Monate später herausstellte. Natürlich war er damals schon in mich verknallt gewesen, und er hatte in meinem Blick gelesen, dass ich ihn auch sehr mochte. Aha. Aha? Da war einer schneller als ich. Aber Recht hatte er ja eine Zeit lang.

Die anderen Fälle sind noch unergründeter Natur, aber das Außergewöhnliche hatte ich wahrgenommen und sicher nicht in den grauen Zellen entwickelt.

Unterhaltsames Herumstehen im Foyer der ehemaligen Schule. Seit alle Seelen weg sind, ist sie wirklich nur noch wie eine traurige Hülle. Klar, man erinnert sich, eine Hochzeit für die Nostalgie. Aber lebendig ist etwas anderes. Sam und ich unterhalten uns mit meinem alten Deutsch- und Englischlehrer, Herrn König. Schon seit geraumer Zeit ist es mir unerklärlich, dass ich mit 13 in den verliebt war. Nur, weil er so jung war? Wir besprechen die eben gesehene Theateraufführung, reminiszieren über unsere eigenen Bühnenjahre. Sam, die damals mir ihrer Rolle Kultverdacht erregt hatte. Ich, die ich noch immer mit schönen Herzschmerzen an meine Zeit im Ensemble denke. Herr König, der so gar nichts mehr von seinem damaligen Glanz als Teil des Teams hat.

Nun sind wir alle erwachsen, und wie es sich herausstellt, haben wir uns auseinanderentwickelt. Sam, die Brave, liebt die richtige Ecke des anglophonen Raums. Ich hingegen ernte mit meiner Begeisterung, die in meinen Augen aufleuchtet, sobald ich von meinem Jahr in den USA erzähle, nur mildes Unverständnis. Da drüben hätten sie doch keinen Geschmack. Da sei alles nur McDonald's. England sei das Wahre. Es ist etwas Seltsames in Herrn Königs Blick. Ist es Enttäuschung, dass sich seine ehemalige 110%-Schülerin, der er sogar ein Ständchen für die 1+ gesungen hat, in etwas anderes verwandelt hat? Der Blick bleibt, mein Bedürfnis, mich mit alten Lehrern in Kontakt zu setzen, hat seinen Grenzwert null beinahe erreicht.

Rollen wir den Film etwas nach vor. Wise Guys im Konzert. Seit ich sie entdeckt habe, bin ich von Dän immer ein bisschen mehr umgehauen als von den anderen. Natürlich ist nichts so wichtig wie ihre Musik und ihre Bühnenpräsenz, aber ganz ausblenden kann man deren Attraktivität ja auch nicht. Was bei den Fünfen so schön ist, ist dass sie alle so attraktiv sind, weil ich zu spüren glaube, dass die Begeisterung, die sie für ihre Arbeit und Kunst haben, in ihren Augen zu sehen ist.

Doch Dän ist noch ein bisschen mehr. Der fährt in den Bauch ein. Wenn alle Single wären und ich der Reihe nach mit allen flirten könnte - was für ein eigenartiges Gedankenexperiment! -, wären die anderen vier (von der alten Besetzung) toll; er wäre atemberaubend. Nun denn. Afterglow. Ich spreche nicht einmal selbst mit Dän; ich bin irgendwie Teil dessen, was der Freund neben mir ihn fragt. Er wechselt höflich zwischen uns hin und her, ich bin stumme Gesprächsteilnehmerin. Das Umwerfende ist schon davor passiert. Wir stehen so rum, und Dän kommt in unsere Nähe, weil er da jemandem ein Autogramm gibt. Ich schaue bloß hin, wie es halt meine Art ist, denke, wow, der ist ja noch größer, als ich gedacht hatte. Er sieht von seinem Foto auf, und da ist ein Blick, der direkt in meine Knochen geht. Er ist nicht minutenlang, ich weiß auch nicht, was er heißt, aber er ist eindeutig anders. Irgendetwas Besonderes sehend. Identifiziert. Nicht zu leugnen.

Zeitsprung. Ein Café. Ein Freund und ich auf der Eckbank. Wir unterhalten uns. Aber meine Hauptbeschäftigung ist, mich wohlzufühlen. Ich wärme meine Finger an der Tasse, betrachte in der Gesprächspause mein Getränk und sehe aus den Augenwinkeln, wie er seinen Schaum löffelt. So selbstvergessen, so sich in mein Herz bohrend. Wir reden über dies und das, und da ist plötzlich dieser Blick. Dieser um eine Sekunde zu lange bleibende Blick, der mich erhitzt. Ich weiß nicht, was er heißt, aber ich weiß, was ich mir wünsche, dass er heißt. Da ist er auch schon wieder weg, der Blick, und wiederholt sich nicht. Wie dicht ist meine Fassade?

Wiederum zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Gesellschaftliches Großereignis. Na ja. Viele Menschen halt auf einem Haufen. Georg, der Freund eines Freundes ist heute zum ersten Mal in meinem Leben. Sympathisch. Sehr quicklebendig, macht die Unterhaltung leicht. Wir drei stehen gesellig herum, unterhalten uns. Georg macht mir das Kompliment meines Lebens. Aber weil ich ohnehin so gut gelaunt bin, weil ich an diesem Ort bin, erkenne ich es erst mit großer Verzögerung und klopf mir innerlich auf die Stirn aufgrund akuter Blödheit. Er ist jedoch nicht gebremst, stellt Fragen, die irgendwann auch mich erkennen lassen, dass er eventuell Gefallen an mir findet. Ich finde ihn interessant, gravitiere trotzdem zu dem Nurfreund, mit dem ich hier bin.

Am Ende des Abends wünsche ich mir beinahe, dass er mich wiedersehen will. Georg und Nurfreund und ich stehen auf dem Kopfsteinpflaster vor der Halle und verabschieden uns. Nurfreund und ich unterhalten uns noch ein wenig über zukünftige Treffen, tauschen ein paar Dinge aus. Dann umarmen wir uns zum Abschied. Ich wende mich Georg zu, der auf einmal uncharakteristisch still, steif und ernst ist. Er reicht mir die Hand, und da ist der Blick. Er wandert direkt in die Datei "undefinierbar, aber definitiv ungewöhnlich". Ich frage mich, was zwischen drinnen und draußen vorgegangen ist. War es ein Blick des eingeschüchtert Seins? War es ein Blick der Erkenntnis, dass das Band von mir zu Nurfreund stärker war, als ihm lieb gewesen wäre?

Seltsam, was sich so ansammelt. Nicht immer muss alles geklärt werden. Manchmal reicht das Geheimnis. Manchmal darf auch der Luftzug kommen, der die Funken weiterträgt.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Heartthrob County
Es gab einmal eine Zeit, da dachte ich, der atemberaubendste...
ronjavondermattisburg - 24. Jan, 00:44
Shush?
Es ist wohl eine zutiefst menschliche Eigenschaft,...
ronjavondermattisburg - 11. Okt, 03:58
Misconception
Vielleicht ist der tiefste aller zugrundeliegenden...
ronjavondermattisburg - 10. Mär, 21:50
Good Wife
Am Ende des Gesprächs steht die Erkenntnis: Ich bin...
ronjavondermattisburg - 7. Dez, 23:18
Origin of love
Manchmal vermisse ich das Schreiben wie wahnsinnig....
ronjavondermattisburg - 20. Aug, 01:42

Links

Suche

 

Status

Online seit 5358 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 24. Jan, 00:44

Credits


Räubergeschichten (aus dem Mattiswald)
Steine
Welcher Film läuft heute in der Burg
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren