Dunkle Materie

Für einen Moment war es mir peinlich, dass ich so viel hier geschrieben hatte. Was, wenn er wirklich alles gelesen hatte? Wenn er all meine Kämpfe und meine Zerrgedanken miterlebt hatte? Egal, was er dann von mir denken würde, war es nicht schlicht und ergreifend peinlich, dass ich ihn das alles mitlesen und -fühlen ließ? Doch einmal will ich konsequent sein und das letzte Mal teilhaben lassen, wer eigentlich nicht teilhaben sollte. Eigentlich sollte ja niemand teilhaben, und außer den geschätzten Lesern hier tut das auch niemand, keine Menschenseele. Oh.

Etwas in mir wollte nicht hingehen. Oder wollte hingehen, aber nicht zum ersten Termin, denn der zweite hätte Bequemlichkeit und Wärme beinhaltet. Als ich dort stand, lag Ferne in der Luft, sachte Traurigkeit durchzog mich. Nein, er sah nicht mehr aus wie derjenige, an dem ich das Sehnen geübt und dessentwegen ich das Sehnen abgestellt hatte. Nie wieder Sehnen nach einem anderen Menschen. Er war entfernt, und ich erkannte, dass ich ihm nur nahe gewesen war, weil ich ihn gewollt, mich nach ihm gesehnt hatte. Weil meine Idee von ihm so groß, jede Geste, jedes Wort von ihm so schön und so wichtig gewesen war. Er sah versteckt aus. Die Augen leuchteten, aber etwas verkleidete ihn.

Der Wortwechsel hinterher war mager. Oder eigenartig. Oder merkwürdig. Menschen, die ich an einem für mich sehr intensiven Abend kennengelernt hatte, konnten sich erinnern, mich aber nicht so recht einordnen - ich war leicht desillusioniert. Fragen kamen im seltsamen Kleid - "Gehörst du zu ihm?" -, das eine ehrliche Antwort in diesem Fall lange dauern lässt, was sie auch tat. Auch weil ich stumm war. Ich hoffte auf eine Umarmung, darauf eben, dass die letzten Ereignisse unsere Nähe nicht zerstört hätten. Obwohl, die Nähe war ja eh nicht mehr da, aber vielleicht der Ansatz der Verbindung. Die Umarmung formte sich, aber im Gegensatz zur letzten Abschiedsumarmung fühlte ich nicht mehr "der richtigste Ort der Welt". Auch Absoluta gehen.

Irgendwann hinterher sagte M, der an diesem Tag zwei Sätze eingeflochten hatte, die mich zum ersten Mal denken ließen, dass er einen Grund für deren Erwähnung und geschickte Platzierung hatte: "Der B war heute ein wenig einsilbig." Ich schwieg. Nach einer Weile fragte er: "Was ist? Du bist so ruhig." Ich antwortete wahrheitsgemäß: "Oh. Na ja, es gibt darauf ja nichts zu sagen."

Gut, ich hätte eine Analyse der Gründe beginnen können, die hinter der Wortkargheit gesteckt haben mochten, der vermuteten und der bloß arg spekulativen, aber so etwas hätte meine Gesundheit in mehr als nur einer Art gefährdet. Ja, ich habe mir Gedanken gemacht, doch die waren einer Natur, die eher Nebelschwaden glich. Warum eine bleischwere Betrachtung anstellen, wenn man Mühe hat, zu schwimmen? Da war irgendwas mit "vielleicht hat ihn etwas an Einsamkeit erinnert", dann etwas mit "vielleicht fühlt er sich von mir ausgenutzt". Seine Wortwahl, ach, seine Wortwahl. Sie war vordergründig neutral, doch ich hörte etwas Seltsames. Tja, die Botschaft entstand erst bei der Hörerin. Erst viel später tauchte der Gedanke ins Bewusstsein auf, dass ich vielleicht in meiner abwartenden, passiven Haltung seine seltsame begünstigt hatte. Ich hatte ihn mehr oder weniger betrachtet, über die weiteren Ereignisse im Unklaren, nach Zeichen suchend, ob es noch eine Unterhaltung geben würde. Immerhin war ja auch M da. Doch er schien erfreut, mit den anderen weggehen zu können.

Wer weiß schon immer, nein, wer weiß schon jemals, was war.

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