Die Tassen im Schrank

In wie vielen Küchenkästen befindet sich ein Stückchen persönliche Geschichte? Weniger interessant dabei ist, welche Mehl-, Zucker- oder Nudelmarke man bevorzugt. Das, wofür es sich genauer hinzuschauen lohnt, ist die Tassensammlung. Ach, klar, nicht jeder misst seinen Tassen gleich viel Bedeutung bei, aber ein paar Lebensstationen kann man vielleicht ersehen.

Der hässlichste Marker meiner Häferlgeschichte steht unter der Spüle, schön versteckt und zweckentfremdet als Halterung für die Müllsackrolle. Dieses an heiße Schokolade mit viel zu viel Sahne erinnernde Ungetüm mag mich zwar auch an einen wichtigen geographischen und innerlichen Schritt zum jetzigen Ort meines Lebens denken lassen, aber es schmerzt zu sehr in den Augen. Würde ich das Ding mit der zuckerlrosa Aufschrift und dem weichzeichnend zerfließenden Bildchen meiner Stadt in Augenhöhe aufbewahren, es wäre, als würde ich "Die berühmten drei Worte" von Andy Borg ehren, bloß weil dieses akustische Brechmittel immer erklang, wenn ich mit meiner Mutter ins Kaufhaus ging. Unnötig zu erwähnen: Erworben hab ich das Ding nicht selbst.

Es gibt natürlich noch mehr ästhetisch nicht ganz einwandfreie Dinger in meinem Kasten, auch solche, deren Geschichte sie eigentlich auf den Flohmarkt hätte befördern sollen, solche, die mich noch immer ein kleines bisschen am Herzen ziehen, wenn ich sie verwende, und solche, die langsam von selbst eins mit ihrer Geschichte werden.

Meine Lieblingsjumbotasse - ein Viertelliter zahlt sich doch echt nicht aus! - hat schon mehr Blessuren, als ich an einer Hand abzählen kann, und die sind nicht meiner ungestümen Art zu spülen zuzuschreiben, sondern der schlechten Qualität. Oder ist es normal, dass hier ein bisschen, dort ein bisschen Glasur abspritzt, sobald man die Tasse auf dem Tisch absetzt? War wohl nicht umsonst relativ günstig, mein Erinnerungsstück, damals auf der Freyung, als ich mit meiner Freundin in der Frühlingssonne spazierte und im Magen diesen Kloß hatte, weil er mit seiner Freundin spazierte. Doch nur, weil sie schon angeknackst ist, kommt sie nicht in den Müll. Wo kämen wir denn da hin? (Man sieht, ich bin schon heimisch hier.)

Eine Tasse erwog ich schon des Öfteren wegzugeben. Meine Pro-und-Kontra-Liste, wenn ich denn eine hätte, wäre jedoch ausgewogen, und so beließ ich die Entscheidung bisher bei Unentschlossenheit. Das Sonnengelb passt ja auch so herrlich zum milchigen Kaffee. Auch zum schwarzen, den ich nun bevorzuge. Und bis auf das Knacken des Henkels, das einen befürchten lässt, dass man einmal mit ihm in der Hand und ohne Tasse dasitzen könnte, ist sie ja schwer in Ordnung. Sie ist halt bloß von meiner ehemals besten Freundin. Wir haben uns in aller Stille getrennt, und genauso still und mausetot ist die Kommunikation seither. Man sagt ja, die Menschen ändern sich, man entwickelt sich auseinander. Ich bin noch immer nicht sicher, ob ich das (Nicht-)Geheimnis unseres Freundschaftstodes durchschaut habe und ob auch bei ihr eine Narbe da ist. "Friends" steht in schönen Lettern drauf. Auch das noch. Klar, damals waren wir es ja, und dass sie eine extrem teure Tasse der Fernsehserie erstanden hatte, rührte mich damals sehr. Im Grunde kann ich nichts anderes tun, als sie zu behalten, beide. Wenn ich das Häferl weiterschenkte, könnte ich es nur an eine(n) Freund(in) tun, und dass diese Person dann ein Second-Hand-Geschenk inklusive Geschichte bekäme, erschiene mir unfair.

Bono hingegen bleibt. Definitiv. Bono ziert in x-facher Ausführung die Tasse, die mein Herz hebt, weil ich ihn so gerne anschaue. Bono, der besser Bärchi heißen sollte, wie ich finde, ist das Süßeste, was es an Gezeichnetem gibt. Noch vor Grisu! Ach, Bono! So wenige Striche können ein Herz so hoch schlagen lassen! Bono kommt von meiner Freundin, und ich erinnere mich sogar noch an das Café, in dem wir uns damals zum Geburtstagsnachfeiern getroffen haben. Oder doch nicht? Eines von unseren vielen Lieblingscafés entlang der Straßenbahn.

Ein schnörkelloses Trinkgefäß mit der Aufschrift "Hardrock Café", das sicher billig in der Produktion gewesen war, erinnert mich an den ersten Urlaub in den USA. Es war das Ende der Reise, es war New York. In unserem Hotel war ein Stadtführerheftchen mit viel Werbung gelegen, darin auch ein Gutschein für eine Hardrock-Café-Tasse. Ob wir Grünschnäbel jemals hinfinden würden? Es gab Leute, die unbedingt jedes Hardrock Café entlang des Wegs mitnehmen wollten, und diese Kräfte trieben uns schließlich hin. Ich konsumierte nicht mal etwas und fühlte mich sogar ein bisschen schlecht, dass ich trotzdem die Tasse bekam. Leider steht weder "the City" noch "NYC" oder dergleichen drauf.

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